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Gastbeitrag: E-Health - Wie ein Virus den längst nötigen Weckruf brachte

Ariane Schenk

Es war ein Virus, das den längst nötigen Digitalisierungsschub brachte. Digitale Technologien halfen in den vergangenen Monaten und sie werden uns auch auf absehbare Zeit bei der Pandemiebekämpfung unterstützen. Welche Möglichkeiten wir längst haben und warum es so schwer war, sie einzusetzen, berichtet Dr. Ariane Schenk in ihrem Gastbeitrag.

Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verhielt es sich wie mit vielen anderen Themen: Das Land schlief einen jahrelangen Dornröschenschlaf. Aber einmal aufgewacht, gab es Grund für vorsichtigen Optimismus: Die elektronische Patientenakte (ePA) und das E-Rezept wurden auf den Weg gebracht, die Apps auf Rezept kamen und fast schien es, als könnten wir 20 Jahre digitalpolitische Lethargie aufholen. Eben in unserem deutschen Tempo: Häufig zu langsam, aber mit soliden Ergebnissen. Dann kam die Pandemie. Es war ein Virus, das dem Land den längst nötigen Digitalisierungsschub verlieh. Digitale Technologien halfen in den vergangenen fünfzehn Monaten und sie werden uns auch auf absehbare Zeit bei der Pandemiebekämpfung unterstützen. Fragt man die Bevölkerung, so ist klar: Ohne die Digitalisierung der Medizin geht es nicht mehr. Mehr als zwei Drittel (65 Prozent) forderten schon im Frühjahr 2020 laut einer Bitkom-Studie mehr Tempo beim Ausbau digitaler Gesundheitsangebote. Die Nutzung von Videosprechstunden und Onlineterminvergaben stiegen pandemiebedingt sprunghaft an. Ein Zurück ist keine Option mehr.

Zwischen Faxgeräten und digitalen Lösungen

Die Medienberichte zur pandemischen Kontaktverfolgung in den Gesundheitsämtern offenbarten ein Trauerspiel: Aufgrund fehlender Schnittstellen wurden Gesundheitsdaten händisch in Excel-Tabellen zusammengeführt. Zeit ging verloren, Fehler passierten. Dem Robert-Koch-Institut (RKI) fehlten Corona-Infektionsdaten, weil die behördliche Meldekette von den Laboren über die Gesundheitsämter bis zum RKI unregelmäßig und lückenhaft war. In der Regel wurden sie per Fax geschickt. So basierten politische Entscheidungen oft auf nicht aktuellen Meldezahlen. Die digitale Lösung für das Melde-Fiasko wartete bereits auf ihren Rollout: SORMAS. Das Kontaktverfolgungssystem sollte alle Gesundheitsämter miteinander vernetzen und Daten ans RKI übermitteln. Die Gesundheitsministerien in Bund und Ländern sollten für einen reibungslosen Transfer von Daten sorgen und einen unbürokratischen Weg finden – doch die flächendeckende Implementierung läuft noch immer, viele Gesundheitsämter wollten die Software nicht nutzen, viele hatten in der Zwischenzeit ihre eigenen Insellösungen geschaffen. Dass es SORMAS gibt, ist ein Erfolg. Der schleppende Rollout nicht.

Apps für die Pandemiebekämpfung

Ein weiterer Erfolg ist die Corona-Warn-App (CWA). Sie ging schnell an den Start, hat eine gute Verbreitung gefunden und erfreute die Datenschützer. Dort liegt das Manko: Da der Anwendende anonym bleibt und keine personenbezogenen Daten erhoben werden, kann die App den Gesundheitsämtern nicht helfen, Infektionsketten zu durchbrechen. Die Weiterentwicklung der App verlief ebenfalls zu langsam. Mittlerweile ist es möglich, den Schnelltest zu verknüpfen, sich einzuchecken und auch das digitale Impfzertifikat wurde mit dem neuesten Update nachgereicht. Zum Reisen empfiehlt sie sich ebenso: Die CWA ist mit allen Contact-Tracing Apps der EU-Mitgliedsstaaten kompatibel. Je länger die Pandemie anhält, umso nützlicher wird die CWA demnach für den Nutzenden. Um das normale Leben zurückzuholen, gingen als Ergänzung zur CWA weitere Apps an den Start, zum Beispiel die Luca-App. Nutzende geben ihre Daten an und können ihren Aufenthaltsort erfassen. Anders als in der CWA werden die Daten gespeichert und Gesundheitsämter könnten bei Bedarf Kontakt aufnehmen, um Infektionsketten zu durchbrechen.

Zwischen Datenschutzbedenken und Menschenleben

Der Datenschutz macht es digitalen Anwendungen im Gesundheitsbereich häufig nicht leicht. Auch bei der Pandemiebekämpfung rauben ermüdende Diskussionen wertvolle Zeit. Die Menschen haben wenig Verständnis, wenn Grundsatzstreitigkeiten eine rasche und zuverlässige Lösung, die in der Praxis gut funktioniert, verhindern. Darum empfehle ich hier stets eine pragmatische Abwägung zwischen Schutz von Daten und Schutz von Leben. Was dabei überwiegt, liegt klar auf der Hand. In der Medizin sind Daten die Quelle neuer Diagnose- und Behandlungsoptionen. Statt Datenschutzgesetzen benötigen wir Datennutzungsgesetze, statt Datensparsamkeit harmonisierte Rahmenbedingungen zur Einhaltung der Datensicherheit.

Deutschland und der digitale Impfnachweis

Derzeit werden hierzulande zwei verschiedene Impfzertifikate diskutiert: das digitale Covid-19-Impfzertifikat und der digitale Impfausweis. Letzterer soll ab Januar 2022 in der ePA integriert werden und die gesamte Impfhistorie umfassen. Patientinnen und Patienten erhalten einen besseren Überblick über ihren Impfstatus und werden benachrichtigt, wenn eine Auffrischung nötig ist. Das digitale Covid-19-Impfzertifikat wurde unabhängig davon entwickelt; die EU einigte sich auf eine europäische digitale Lösung zum Nachweis von Corona-Impfungen, Tests und überstandenen Erkrankungen. Schon seit Jahresbeginn liefen Gespräche zu den Rahmenbedingungen eines interoperablen Impfzertifikats. Interoperabilität ist dabei ein Thema, das uns auch in Zukunft bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens begleiten wird. Deutschland hinkt schon heute hinter den europäischen und internationalen Entwicklungen hinterher. Weitere nationale Alleingänge können wir uns nicht mehr erlauben.

Für die Entwicklung des digitalen Impfzertifikats hatte ein Konsortium aus IT-Unternehmen etwa vier Monate Zeit. Es wurde mit einer absoluten Punktladung bereitgestellt und befindet sich aktuell im Rollout. Bislang können Apotheken, Impfzentren und einzelne Arztpraxen das digitale Impfzertifikat ausstellen. Die große Herausforderung dabei war, wie bereits Geimpfte ihr Zertifikat erhalten. Da es an einer zentralen Datenbasis fehlt, wurde entschieden, dass Apotheken es nach Überprüfung des Impfstatus ausstellen dürfen. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern hat Deutschland übrigens auch ein digitales Impfregister verschlafen.

Was in der neuen Legislatur wichtig ist

Die aktuellen Entwicklungen um das EU-konforme digitale Impfzertifikat und das Impfmanagement zeigen erneut, dass Deutschland im Ländervergleich bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens im unteren Mittelfeld agiert. Hierzulande fehlt es einfach an der nötigen Infrastruktur. Im dynamischen Pandemiegeschehen haben wir mehr als einmal Zeit verspielt und häufig zu langsam reagiert. Trotz einiger Erfolge fehlte es gänzlich, auch mal einen Schritt vorauszudenken. Der Staat reagierte, anstatt sich proaktiv auf die prognostizierten Szenarien einzustellen. Im Behördendschungel und Zuständigkeitsdickicht digitalisiert es sich eben nicht gut. Genau daraus heißt es zu lernen. Der Staat muss den Unternehmen einen Rahmen geben, um schnell Lösungen zu entwickeln und sollte sich nicht selbst daran versuchen – staatliche Lösungen haben im Bereich der digitalen Gesundheitswirtschaft bisher selten funktioniert. Da Zeit der wesentliche Erfolgsfaktor ist, müssen wir an Tempo zulegen. Für die neue Legislaturperiode braucht es eine allumfassende Digitalstrategie und eine klare Vision für das digitale Gesundheitswesen. Geschlafen haben wir genug.

Dieser Gastbeitrag erschien im August 2021 in der Printausgabe unseres Medienpartners Behörden Spiegel.

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